Das Leben lässt sich nicht planen…..

…..ein Blick auf den Kalender verrät es, lange ist nichts passiert bezüglich unseres Europa Trip’s.

Grund für diesen Stillstand ist eine urplötzliche Erkrankung im September 2013.

Nach einem tollen Wanderwochenende mit den Hunden entlang des romantischen Lahntal’s, stellte sich an den darauf folgenden Tagen ein Muskelkater in den Beinen ein. Nix besonderes denkt man sich so und geht erfahrungsgemäß davon aus, dass sich dies innerhalb der kommenden Tage erledigt haben wird. Hatte es sich nicht! Hinzu gesellte sich ein Taubheit’s Gefühl in der Unterlippe. Der erste Gang zum Arzt hatte zur Folge das eine Nervenwasser Untersuchung aus dem Rückenmarkskanal erfolgte, dessen Auswertung in etwa eine Woche dauerte.

In dieser Zeit verschlechterte sich mein Zustand derart, dass ich in der zweiten Woche nach der Wanderung, am Dienstag Abend beschloss, die Notaufnahme des Frankfurter Universitätsklinikums zu konsultieren. Meine Frau fuhr mich die ca. 80km in die Uniklinik und nachdem die Aufnahme usw. einige Zeit in Anspruch nahm, war relativ schnell klar, das hier etwas so ganz und gar nicht stimmte. Blutbild, zunehmende Schmerzen und ein sich stetig verschlechternder Sauerstoff Gehalt im Blut ließen Böses ahnen. Vier Tage Intensivstation mit immer stärker werdenden Schmerzen und immer schlechter werdenden Vital-Funktionen, endeten im künstlichen Wachkoma um ein Totalversagen wichtiger Organe zu verhindern. Die Diagnose war seit Mittwoch grob bekannt, seit Donnerstag stand sie detailliert fest.

Akute lymphatische Leukämie

Davon gibt es einige verschiedene Formen, es waren Knochenmark Tests durchgeführt worden, welche weitere detaillierte Auswertungen folgen ließen. Als Ergebnis kam schlussendlich heraus:

akute lymphatische Leukämie B-Zellig vom Typ Burkitt

Ich lag im Koma, – künstliches Wachkoma um genau zu sein. Hervorgerufen, oder besser gesagt notwendig geworden durch eine Komplikation, bzw. eher einen äussert aggressiven Verlauf der Erkrankung im Zusammenhang mit der verabreichten Chemotherapie, dem sogenannten Tumorlyse Syndrom. Dabei zerfallen Tumorzellen in so hoher Anzahl, dass dies ein Organversagen von Niere, Leber und schlussendlich dem kompletten Herz-Kreislaufsystems zur Folge hat. Zur „Verlangsamung“ dieses Ablaufs dient das künstliche Wachkoma. Dabei gibt es, in sehr wissenschaftlich und nüchtern wirkenden Auswertungen, Tabellen welche beschreiben wie hoch die Überlebensrate eines solchen Komas ist, im Verhältnis stehend zur Dauer der Wach- / Koma-Phasen, des Patienten. Ungefähr, bei Hälfte ./. Hälfte, sind Erfahrungsgemäß dabei die höchsten Überlebensraten anzunehmen. Man wird künstlich beatmet, künstlich ernährt, hängt an Dialyse Geräten usw. Eine Menge Schläuche verlassen den Körper und eine ganze Batterie an Medikamenten fliesen, durch wieder andere Schläuche, wie z.B. einen zentralen Venen-Katheder, in den Körper. Man ist durch die Schläuche der künstlichen Beatmung nicht in der Lage, zu schlucken, zu trinken, Luft zu holen, oder zu sprechen, aber man ist ungefähr die Hälfte der Zeit „wach“ und nimmt diese beängstigenden Einschränkungen, wahr. Im Rückblick, meiner inzwischen 6-monatlichen Krankheitsgeschichte, ist dieses künstliche Wachkoma die schlimmste Erfahrung insgesamt. Es dauerte zehn Tage an. Zehn Tage, welche mir wie Monate einer Folter vorkamen. Der Tag als die Gesichtsmaske, mit Ihren Schläuchen, welche durch den Rachen in Speise- und Luftröhre führten, entfernt wurde war eine echte Befreiung. Hätte mich jemand gefragt und entscheiden lassen: Schläuche raus und sterben oder Schläuche noch drinnen lassen und die Chance zum Überleben erhöhen – ich hätte mich für das Sterben entschieden. Definitiv!
Unmittelbar nachdem die Ärzte die Schnallen an der Gesichtsmaske geöffnet hatten, zog ich selbst mit an den Schläuchen welche in meinen Körper führten und erlebte diese Sekunden wie eine Geburt durch meinen eigenen Rachen. Es tat nicht wirklich weh, aber es war abartig und zugleich unglaublich befreiend. Ich bekam eine Sauerstoffmaske auf – und konnte atmen – selbständig. Ich konnte schlucken, auch wenn sich alles taub anfühlte. Mein seit zehn Tagen offen stehender und vollkommen ausgetrockneter Mund konnte durch schlucken und atmen Feuchtigkeit spüren. Nachdem die Sauerstoffmaske abgenommen wurde, konnte ich tatsächlich auch etwas trinken. Vorsichtig – Schluck für Schluck – da auch diese Instinkte, verbunden mit dem Taubheit’s Gefühl im Mund, eingeschränkt sind und ein „sich verschlucken“ schnell zur Komplikation werden kann. Wie oft habe ich in den vergangenen Tagen unter Opiaten und Morphinen halluziniert und davon geträumt, einfach nur trinken zu können. Meinen Kopf unter einen laufenden Wasserhahn zu halten und das Gefühl, von mich durchströmender Flüssigkeit herbeigesehnt. Jetzt hielt ich eine Tasse Tee in der Hand – Schluck für Schluck – nach jedem Schluck die Tasse weg vom Mund und einmal schlucken ohne Flüssigkeit im Mund. Das war die Übung um sich nicht zu verschlucken.
Unmittelbar in den folgenden Tagen erstellte ich eine Patientenverfügung welche dafür Sorge tragen sollte, so etwas nie wieder erleben zu müssen.

Das diese Verfügung nicht lange bestand haben konnte, war mir zu diesen Zeitpunkt noch nicht klar.

Es folgten Wochen auf Intensiv Stationen verschiedener Kritikalität, Komplikationen – Not-OP’s, welche das Ausetzen der Patientenverfügung erforderten und, und, und.
Insgesamt 3 Monate dauerte der erste „Abschnitt“ seit dem „freiwilligen“ Betreten des  Krankenhauses, mit der Vorstellung in der Not Ambulanz an einem Dienstag Abend. Ein echtes Zeitgefühl war nicht vorhanden. Gewichtsverlust seit Beginn – 27kg. Zeitweise Wassereinlagerungen im Gewebe 20-23kg. Körperliche Leistungs- und Bewegungsfähigkeit quasi Zero. Jeder Gang zur Toilette, das Herauskommen aus dem Bett, jegliche Form von „Sich Bewegen“ war eine absolute Qual und beanspruchte das Herz-Kreislaufsystem derart, dass man komplett ausser Atem kam.
In nur 3 Monaten wurde ich zum Schatten meiner Selbst. Ich stand nackt vorm Spiegel und betrachtete mich selbst – drehte mich vorsichtig und betrachtete mich wieder. Die Wangen-, und Kieferknochen standen hervor, tiefe Augenhöhlen waren im Spiegel zu sehen und ein ehemals straffer Po hing als Hautfalte über den Ansatz der Oberschenkel. Schulterknochen, Schlüsselbein und Rippen standen deutlich hervor, Beckenknochen und Kniegelenke waren deutlich zu sehen und wirkten mächtig in ihrer Grösse, im Vergleich zu den Oberschenkeln, welche nur noch so stark waren wie vielleicht früher meine Arme. Mir wurde das Erste mal klar, wie schnell körperlich Zerfall statt finden kann.
Seitdem sind weitere drei Monate vergangen, viele Erinnerungen und Eindrücke an diese Schlimmsten ersten drei Monate könnte ich noch beschreiben, und werde dies wahrscheinlich auch an anderer Stelle einmal zusammen gefasst tun. Viele Erfahrungen und Erlebnisse konnte und musste ich in den nachfolgenden drei Monaten, nach dieser für mich einprägsamsten Phase, noch machen.
Nächste Woche Dienstag, den 25.Februar 2014, gehe ich wieder auf Station der Knochenmark-Transplantations-Klinik im Frankfurter Universitätsklinikum, um die Siebte, aus bis jetzt neun veranschlagten Chemo-Zyklen, zu erhalten.
Inzwischen ist so eine Art Routine eingetreten. Man weiss was einen erwartet. Tatsächlich halten sich die Nebenwirkungen im erträglichen Bereich, obwohl man sich inzwischen nicht mehr sicher ist, welche Massstäbe man selbst zur Anwendung bringt für eine Bemessung „Erträglich“. Aber egal, man muss es ja auch nur selbst aushalten.
Läuft alles so weiter wie bei den letzten drei Chemo-Zyklen, ist ein Abschluss dieser Therapie gegen Ende April bis Mitte Mai absehbar. In den drei bis vier Wochen Abstand zwischen den einzelnen Chemo-Blöcken erlebt man hautnah wie sich Körper und Leistungsfähigkeit regenerieren können. So hoffe ich auf den Tag, nach Abschluss des Neunten Zyklus und einer längerfristigen Erholungsphase, mit einem Fortschritt der gefühlten Verbesserung, wie ich ihn jetzt bereits kennen lernen durfte.

Bleibt dann nur noch, dass die ganzen Strapazen auch Länger- und Langfristig ihren Zweck erfüllen und dann auch zu einer mehrjährigen „Heilung“ / Zurück-Drängung des Lymphom’s führen. Betreffs dieser Hoffnung, gibt es eine wahrlich grosse Bandbreite an Beispielen von medizinischen Fällen, zwischen wenigen Monaten und einigen Jahrzehnten.

Wir werden weiter an unseren Traum „Europe Road Tour“ festhalten und arbeiten, allerdings wird sich der Startzeitpunkt um einiges verschieben, da vergangene Monate für die Vorbereitungen verloren gingen, als auch folgende Monate sich anderen zeitlichen Prioritäten stellen müssen. Aber es wird Stück für Stück weiter gehen und so planen wir jetzt grob einen Start – gen Europa – in 2015/16 und vielleicht kleinere Trips innerhalb D-A-CH bereits in 2014.

Ein Ziel für was es sich zu kämpfen lohnt.

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